24.1.18

GEORG TRAKL: AN DEN KNABEN ELLIS




GEORG TRAKL


AN DEN KNABEN ELLIS

Elis, wenn die Amsel im schwarzen Wald ruft,
Dieses ist dein Untergang.
Deine Uppen trinken die Kühle des blauen Felsenquells.

Laß, wenn deine Stirne leise blutet
Uralte Legenden
Und dunkle Deutung des Vogelflugs.

Du aber gehst mit weichen Schritten in die Nacht,
Die voll purpurner Trauben hängt,
Und du regst die Arme schöner im Blau.

Ein Domenbusch tönt,
Wo deine mondenen Augen sind.
O, wie lange bist, Elis, du verstorben.

Dein Leib ist eine Hyazinthe,
In die ein Mönch die wächsernen Finger taucht.
Eine schwarze Höhle ist unser Schweigen,

Daraus bisweilen ein sanftes Tier tritt
Und langsam die schweren Lider senkt.
Auf deine Schläfen tropft schwarzer Tau,

Das letzte Gold verfallener Sterne.

23.1.18

ROSE AUSLÄNDER: DAS GROSSE SPIEL





ROSE AUSLÄNDER


DAS GROSSE SPIEL

Noch sind die Sterne unsem Kicken da
und ziehen unbekümmert ihren Weg,
als wäre nichts geschehn. Und was geschah,
wurde von ihnen lächelnd übersehn.

Wurde von ihnen lächelnd überhört,
die Länder schwiegen und auch der es sah,
der Engel, kam nicht, schwang für uns kein Schwert.
Die Tode, sie nur standen uns sehr nah.

Wir nahmen jeden Tod in unsre Hand
und hielten: dm wie einen Talisman,
unsere Schatten zuckten auf der Wand
und nahmen immer andre Formen an.

Und irgendwo gab cs ein großes Land,
das dieses große Spiel mit uns erfand.

22.1.18

NELLY SACHS: DER SCHWAN




NELLY SACHS


DER SCHWAN

Nichts
über den Wassern
und schon hängt am Augenschlag
schwanenhafte
Geometrie
wasserbewurzelt
aufrankend
und wieder geneigt
Staubschluckend
und mit der Luft massnehmend
am Weltall –

21.1.18

KARL KRAUS: SILVESTER 1917




KARL KRAUS


SILVESTER 1917

Dies alte Jahr versank so wehrlos
und aus der Mördergrube steht ein neues auf.
Sind denn die lieben Zeiten ehrlos?
Hemmt keine Scham der Jahre Lauf?

Ein frommes Ohr horcht in die Weiten:
nur manchmal bebt es in der Erde Raum.
Doch unerschüttert gehn die Zeiten
vorüber diesem Sündentraum.

Sie laufen fort mit den Kalendern,
im neuen Jahr das alte Werk zu fördern.
Und nehmen Abschied von der Menschheit Mördern
und sagen Prosit zu der Schöpfung Schändern.

20.1.18

GÜNTER KUNERT: GAUGIN: CONTES BARBARES






GÜNTER KUNERT


GAUGIN: CONTES BARBARES

Sie lagern in Unschuld zusammen
gebräunt und dem Kitsch kaum fern.
Die Figuren der Sehnsucht entstammen
der Palette eines älteren Herrn.
Die andere Seite des Schönen
ist Suff und Syphilis.
Daran kann man sich aber gewöhnen
bis zum entfärbten Finis.