31.8.10

LUDWIG UHLAND: DES DICHTERS ABENDGANG



LUDWIG UHLAND (1787-1862)


DES DICHTERS ABENDGANG


Ergehst du dich im Abendlicht
(Das ist die Zeit der Dichterwonne),
So wende stets dein Angesicht
Zum Glanze der gesunknen Sonne!
In hoher Feier schwebt dein Geist,
Du schauest in des Tempels Hallen,
Wo alles heil`ge sich erschleußt
Und himmliche Gebilde wallen.

Wann aber um das Heiligthum
Die dunkeln Wolken niederrollen,
Dann ists vollbracht, du kehrest um,
Beseligst von dem Wundervollen.
In stiller Rührung wirst du gehn,
Du trägst in dir des Liedes Segen;
Das Lichte, das du dort gesehn,
Umglänzt dich mild auf finstern Wegen.

15.8.10

FRIEDRICH MARTIN BODENSTEDT: DAS LEBEN IST EIN DARLEHN, KEINE GABE...


FRIEDRICH MARTIN BODENSTEDT (1819-1892)


DAS LEBEN IST EIN DARLEHN, KEINE GABE...


Das Leben ist ein Darlehn, keine Gabe
Du weißt nicht, wieviel Schritt du gehst zum Grabe,
Drum nütze klug die Zeit: auf jedem Schritt
Nimm das Bewußtsein deiner Pflichten mit.

Gewöhne dich – da stets der Tod dir dräut
Dankbar zu nehmen, was das Leben beut;
Die Wünsche nicht nach Äußerm zu gestalten,
Sondern den Kern im Innern zu entfalten;

Nicht fremder Meinung untertan zu sein,
Die Dinge nicht zu schätzen nach dem Schein;
Nicht zu verlangen, daß sie sollen gehn,
Wie wir es wünschen – sondern sie verstehn,

Daß wir uns bei Erfüllung unsrer Pflichten
(Da sie's nach uns nicht tun) nach ihnen richten.

14.8.10

RAINER MARIA RILKE: AUS EINEM FRÜHLING


RAINER MARIA RILKE (1875-1926)


AUS EINEM FRÜHLING


O alle diese Toten des April,
der Fuhren Schwärze, die sie weiterbringen
durch das erregte übertriebene Licht:
als lehnte sich noch einmal das Gewicht
gegen zuviel Leichtwerden in den Dingen
mürrischer auf... Da aber gehen schon,
die gestern noch die Kinderschürzen hatten,
erstaunt erwachsen zur Konfirmation;
ihr Weiß ist eifrig wie vor Gottes Thron
und mildert sich im ersten Ulmenschatten.